Ursula Ros
Baroque Violin
Foto: Johannes Gontarski
Fotos: Alexander Englert
Im Interview mit Sophia Klinke von Linksgespielt
Gespräch vom 20. November 2021
Wie beschreibst du deine Händigkeit?
Die offizielle ergotherapeutische Testung ergab eine starke Linkshändigkeit. Da war ich schon 28 Jahre alt und war bis dahin davon ausgegangen, Rechtshänderin zu sein. Alle üblichen Tätigkeiten – Schreiben, Malen, Schneiden – hatte ich mit rechts gelernt, demnach natürlich auch rechts herum Geige gespielt. Heute bin ich eine Linkshänderin, die eben 28 Jahre ihres Lebens mit rechts trainiert hat.
Wie kamst du im August 2008 darauf, eine Händigkeitsgeschichte zu haben?
Das kam über eine Schülerin von mir.
Eine Geigenschülerin?
Ja, und zwar war das eine Schülerin, die bei mir angefangen hatte, als sie ungefähr viereinhalb Jahre alt war – also noch sehr, sehr klein. Sie ist mit fünf in die Schule gekommen und schon relativ zu Beginn der Schullaufbahn wurde festgestellt, dass sie Linkshänderin ist, sich aber selber zu dem Zeitpunkt schon auf rechts umgeschult hatte – sich also unbemerkt von allen anderen bereits angewöhnt hatte, mit rechts zu schreiben und zu malen, obwohl es ihr nicht entsprach. Das erzählte mir die Mutter. Die hatte mich deswegen angerufen und gefragt, ob ich bereit wäre, die Tochter auch andersherum zu unterrichten. In dem Moment war mir das ganz schnuppe. Ich habe gesagt: „Ja, klar unterrichte ich sie auch andersherum!“, obwohl ich noch nie auf die Idee gekommen war, dass man andersherum Geige spielen könnte. Wirklich, ich hatte nie einen Gedanken daran verschwendet. Aber für das Unterrichten macht es ja keinen Unterschied, das war mir auch gleich klar. Die Mutter hatte sich sehr gekümmert und ihre Tochter unterstützt – auch was die Linksgeige betraf – und mir angeboten, darüber zu sprechen, was damit alles zusammenhängt, also mit der Händigkeit und der Rückschulung.
Daraufhin trafen wir uns in der Musikschule und unterhielten uns über dieses Thema. Plötzlich hat sie ganz spontan gesagt: „Ach, mal’ du doch mal einen Kreis, mal’ du doch mal einen Kreis an die Tafel. Mal sehen, wie du das machst.“ Und dann habe ich einen Kreis an die Tafel gemalt, ohne mir was zu denken, und daraufhin sagte sie: „Ach ja, du machst das genau wie die umgeschulten Linkshänder.“ – also von oben beginnend nach innen [Richtung Körpermitte, Anm. d. Red.]. Ein Rechtshänder würde in der Regel von oben nach außen beginnen, weil er diese Richtung mit der rechten Hand von der Innenseite zur Außenseite vom Körper her gesehen natürlicherweise drin hat. Und der Linkshänder eben nicht, für den ist die Innen-Außen-Achse von der Mitte her nach links außen angelegt. Da habe ich dann erst mal nur gelacht. Dann aber machte irgendwas ganz still und leise „klick“ plötzlich...
Und es kam wirklich wie ein Flash, als ich im Zug nach Hause saß: Frag mich nicht wie – ich habe mir wirklich nie Gedanken darüber gemacht, was mit mir und meiner Händigkeit ist –, aber als ich in dem Zug saß, habe ich plötzlich gedacht: „Sie hat Recht. Was, wenn ich Linkshänderin bin?“ Das war das erste Mal in meinem ganzen Leben, dass mir dieser Gedanke kam.
Und ich weiß, dass ich im Zug saß, meine Hände anguckte und anfing zu weinen. Mir sind die Tränen übers Gesicht gelaufen, obwohl ich noch nicht mal wusste, wie ich darauf komme oder was das bedeuten würde. Nur plötzlich hatte ich so eine Empfindung, als würde ich etwas erkennen, was immer verborgen war, also wovon ich nicht mal eine Ahnung hatte. Das war wirklich ganz, ganz irrational – ganz von innen her.
Und dann ist mir eingefallen, dass meine Großmutter mütterlicherseits Linkshänderin ist, eine starke Linkshänderin. Und dass die Schwester meines Vaters Linkshänderin ist. Viele Sachen sind mir plötzlich eingefallen... Auch, dass es dieses eine Foto von mir gibt, auf dem ich als kleines Kind Gitarre spiele und das linkshändig mache. Und dass ich dieses Foto ab und zu mal gesehen hatte und immer lustig fand, dass ich die Gitarre falsch herum halte... Aber es war damals nie ein Anflug einer Idee gekommen bei mir im Hirn, dass es vielleicht sein könnte, dass ich Linkshänderin bin – das hatte ich nie gedacht. Und so kam es, dass mir auf diesem Weg nach Hause im Zug wirklich Vieles wie Schuppen von den Augen fiel, und es war plötzlich so: ,,Um Gottes Willen, das könnte sein.“
Als ich zu Hause ankam, habe ich gleich diese Mutter wieder angerufen und gesagt: „Ich bin ganz durcheinander. Es könnte sein, dass du Recht hast und dass das stimmt.“ Und sie hat gelacht und gesagt: „Ja dann probiere doch mal, ob du Spiegelschrift schreiben kannst.“ Das habe ich daraufhin probiert und konnte es sofort. Die meisten umgeschulten Linkshänder können relativ leicht mit der linken Hand an der rechten Blatthälfte anfangen und in spiegelverkehrter Richtung schreiben. Das ist nicht bei allen so, aber die meisten können es, weil sie innerlich – wenn sie das rechtshändige Schreiben lernen – im Grunde genommen eine Spiegelung vornehmen, unbewusst. Neuronal ist also die spiegelverkehrte Schreibrichtung die ganze Zeit präsent und läuft im Gehirn sozusagen mit. Daher fällt den meisten die Spiegelschrift mit der linken Hand leicht.
Ich begann, mich mit dem Thema zu beschäftigen, sprach nochmals mit der Mutter und las die Texte, die sie mir empfahl. Dann fing ich an, in meiner Vergangenheit zu forschen und mir fiel ein, dass in der Schule – ich hatte eine sehr nette Grundschullehrerin, die ich auch sehr geliebt habe – mir gesagt wurde: „Ursula, ich habe es dir doch schon so oft gesagt, jetzt nimm den Stift in die richtige Hand!“. Das fiel mir wieder ein. Das hatte ich all die Zeit davor vergessen. Und mein Vater ist auch umgeschulter Linkshänder! Also habe ich mich relativ bald um einen Händigkeitstest bemüht, weil ich das gerne wissen und bestätigt haben wollte. Das Ergebnis des zertifizierten Tests bei einer Ergotherapeutin fiel sehr eindeutig aus: starke Linkshändigkeit. Obwohl ich mit der linken Hand wirklich nichts geübt hatte all die Jahre.
Wie verhielt es sich daraufhin mit dem Geigenspiel?
2008 war die Entdeckung meiner Linkshändigkeit, von der ich gerade erzählt habe. 2009 spielte ich allerdings noch mein drittes Geigendiplom – das war also nochmal ein großes Konzert, das ich mit rechts spielen musste – aber da wusste ich schon um die Linkshändigkeit.
Nach diesem Abschluss begann ich zu experimentieren: ,,Wie ist es, mit links zu streichen?“ Ich habe erste Versuche gemacht und dann ziemlich bald für mich entschieden: ,,Entweder ich lerne um oder ich höre ganz auf.“ Ich hatte meine Studiengänge abgeschlossen und es war eigentlich alles gut eingestellt auf der Geige, keine Probleme sozusagen… Nachdem ich im Oktober 2010 das letzte rechtshändige Konzert gespielt hatte, traf ich für mich aber endgültig die Entscheidung, von nun an nur noch linksherum zu üben und zu spielen. Daraufhin begann ich, meine Instrumente umbauen zu lassen, nach und nach.
Bitte erzähle uns mehr über deine Herangehensweise und den Umlernprozess. Was sind und waren für dich die größten Herausforderungen am Umlernen?
Ich habe am Anfang nur gestrichen und erst später mit der Greifhand begonnen, also mit Tonleitern usw. Sehr schnell habe ich gemerkt, dass der Bogen – also Bogenhand und Bogenarm – das Wichtigste sind und auch das, was dir dieses gute Gefühl gibt, endlich mit der richtigen Hand zu streichen. Ich weiß noch, wie toll es am Anfang war, den Bogen in der Saite mit so einem wirklich satten Kontakt zu spüren. Es fühlte sich wie ein Flugzeugträger im Wasser an – also einfach breit und sicher und auch fest, im positiven Sinne. Das war einfach ein geniales Gefühl.
Solch ein Bogengefühl hatte ich zuvor nie erlebt mit der rechten Hand, der Kontakt mit der Saite war immer distanziert – und jetzt mit links war das eben unglaublich lustvoll und befriedigend, dieses Streichgefühl zu haben. Bald merkte ich aber auch, dass filigrane Operationen mit dem Bogen sehr schwer zu lernen waren – also schnelle Saitenwechsel oder das, was wir als Barockgeiger sehr viel machen: Bogenstriche in Froschnähe, die so ein bisschen hüpfend sind. Das machen wir ja eigentlich die ganze Zeit: Spiccato. Ich habe mehrere Jahre gebraucht, bis das wieder ging. Das Lernen, das Weiterkommen mit der Bogenhand war sehr schwierig zu beeinflussen. Ich konnte es nicht verschnellern, egal wie viel ich übte. Am Anfang kann man eh nicht so viel üben – immer nur ein paar Minuten. Aber die wurden dann natürlich stetig mehr und trotzdem war alles, was im Bogenarm geschah, sehr eigenwillig. Es war so, als müsse das von alleine wachsen – das konnte ich kaum beeinflussen, was mitunter richtig, richtig frustrierend war. Im Gegensatz dazu habe ich gelernt, also gemerkt, dass die Greifhand ganz schnell aufzubauen ging.
Wirklich?!
Ja.
Oh, das freut mich sehr zu hören!
Am Anfang bei den ersten Tonleitern, die ich gespielt habe, dachte ich nur: „Wie, wie schrecklich“ – diese Situation, dass ich die Finger aufsetze aber nicht den Ton intonieren kann. Feinintonation war nicht möglich am Anfang. Nach einem halben Jahr fing es glaub ich an, besser zu werden... Ich merkte, die Fingerkuppen beginnen sich zu aktivieren. Mit der nun rechten Greifhand konnte ich recht schnell auch ein bisschen Tempo aufbauen usw. Je mehr ich da geübt habe, desto schneller ging es voran. Ich konnte überlegen: „Jetzt übe ich mal das“ und dann hatte das auch einen bestimmten Effekt. Das hatte so etwas Logisches, da folgte eins aufs andere. Das war irgendwie toll – und einfach. Bei der linken Hand, also der Bogenhand, passierte es nicht in diesem Sinne. Da musste ich wahnsinnig lang warten.
Aber ich bin ans Umlernen auch mit keinem festen Konzept herangegangen. Zudem gibt es ja auch kaum jemanden, der einem diesbezüglich Tipps geben könnte, da fast niemand nach einem Geigenstudium noch einmal alles auf die andere Seite umzulernen beginnt... Ich habe bestimmte Bogenübungen, die ich rechtsherum gerne gemocht habe, dann auch linksherum gemacht.
Welche Bogenübungen waren das?
Aus den alten Geigenschulen von Francesco Geminiani. Die mochte ich schon damals mit der Rechtshändergeige sehr. Da sind Grundbogenübungen drin und auch eine sehr grundlegende Übung für Barockgeiger, nämlich das Messa di voce. Also eine halbe Stunde lang nur Messa di voce zu üben. Das bedeutet, du fängst ganz leise an und lässt den Ton langsam aufleben, anschwellen und dann wieder ganz leise werden. Das empfiehlt Tartini seiner einen Schülerin eine halbe Stunde vormittags und eine halbe Stunde nachmittags zu üben. :) Ich hatte das schon mit der rechtshändigen Geige eine Zeit lang wirklich mal gemacht, was ganz tolle Effekte brachte, und das habe ich von da an eben auf der Linksgeige gemacht. Ich habe versucht so zu üben, dass ich es bei einfachen Dingen belasse und mich nicht überfordere. Der beste Rat, den mir mal jemand gegeben hat war, einfach bei der Freude zu bleiben und diese als Kompass zu nehmen. Klingt leicht, oder? Und eine Geigerin riet mir, möglichst nicht die Stücke zu spielen, die ich mit rechts gespielt hatte, sondern lieber andere Stücke zu spielen. Bald ging bei mir aber los, dass ich wieder in Ensembles gespielt habe – also Kantaten, Oratorien und all das. Ich hatte somit gar nicht viel Zeit, um Repertoirestücke zu üben, sondern war relativ bald wieder in Muggen drin usw.
Was auch nicht unerheblich war: Ich spiele ja Barockgeige und da hat man keine Feinstimmer am Saitenhalter. Man stimmt also nur mit den Wirbeln. Ich weiß noch, dass ich lange gebraucht habe – also Jahre – bis ich wieder relativ sicher mit den anderen im Ensemble stimmen konnte. Das ist eine Sache, da denkt man, die sei selbstverständlich und einfach, aber sie ist es überhaupt nicht. Du brauchst am Anfang für alles länger, und dann war dieser Moment des Stimmens im Orchester da – ich habe sofort Panik bekommen, weil ich wusste, dass ich nicht so schnell wie die anderen sein würde und dass das vielleicht auffällt usw. – also totale Paniksituation, großer Druck in dem Moment. Ich konnte für mich alleine zu Hause stimmen, aber noch nicht mit der alten Routine in einer größeren Stimmgruppe.
Waren die Wirbel immer wieder rausgegangen – also hattest du noch nicht genügend Kraft gleichzeitig zu drehen und die Wirbel reinzudrücken – oder was war so schwer am Stimmen?
Das kann man schwer beschreiben, weil das mit dem Ohr zusammenhängt. Also du wechselt ja – wenn du die Spielseite wechselst – auch das Ohr, welches am Instrument ist. Wenn ich beim Stimmen bisher mein ganzes Leben lang mit dem linken Ohr auf den Ton gehört habe und plötzlich höre ich mit dem rechten Ohr auf den Ton, nach dem ich stimmen muss, dann ist das eine ganz große Umstellung. Aber ich hatte keine Chance das zu trainieren – also ich konnte den Ernstfall, das Stimmen im Ensemble, ja nicht trainieren.
Es ist anders, bei sich zu Hause die Quinten zu stimmen, als im Ensemble, wenn der Konzertmeister vor dir steht und Pult auf Pult sein A weiter reicht mit diesem erwartungsvollen Blick: ,,So, hast du es jetzt? Kann ich weiter?“ Und du weißt aber, du hast es noch nicht so schnell, weil alles anders ist. Der Wechsel des Ohres hat mich sehr beschäftigt am Anfang, da man zu Beginn einen Klang hat, den man sowieso überhaupt nicht kennt: Du kennst ihn einerseits nicht, weil du nun mit dem anderen Arm streichst und dieser andere Arm eine neue Qualität hat – wir haben schon besprochen, dass du dich selbst ganz anders anfühlst. Gleichzeitig klingst du natürlich auch anders.
Und nun hörst du auf diesen Ton, den du mit deinem Instrument auf andere Art machst, nun auch durch ein anderes Ohr! Auch die Ohren haben ja eine Unterschiedlichkeit, nicht nur die Hände – und genauso die Augen.
Und zusätzlich guckst du nun auch auf die Noten aus einem anderen Winkel. Du schaust plötzlich – also das Instrument ist auf der anderen Seite – über die Schnecke auf die Noten, soweit alles wie gehabt. Es ist aber nun das rechte Auge und das rechte Ohr näher an deinem Instrument und näher an den Noten, und das linke Ohr wird nun zu demjenigen, was sondiert: ,,Was ist um dich herum?“ Es ist wirklich physisch eine ganz, ganz große Umstellung. Im Orchester bei den wenigen Möglichkeiten, die du am Anfang hast, fühlst du dich lange nicht sicher. Das dauert wirklich sehr lange.
Aber meine größte Überraschung war, zu merken, dass andere Kollegen, mit denen ich in sehr kleinen Ensembles zusammengespielt habe – also einfach besetzten Ensembles – oft nicht wahrnahmen, was ich da machte. Ich dachte, es müsste die anderen mehr stören. Einerseits, weil ich natürlich immer Angst hatte, dass es irgendwie scheiße klingt oder man hört, dass ich nicht gut genug intoniere oder so was. Andererseits hatte ich immer das Gefühl, sie müssten merken, wie ich mich hier gerade anstrenge und dass sie das vielleicht stören könnte. Aber selbst sehr enge Kollegen, die mich gut kennen, haben es nicht gemerkt. Es hatte sie also auch nichts gestört. Für sie war ich die gleiche, die ich vorher gewesen war – auch spielerisch – und das fand ich irgendwie total abgefahren... das konnte ich eigentlich überhaupt nicht verstehen.
Aber das klingt doch sehr schön, oder?
Ja, das war in dem Moment sehr schön und für mich vor allen Dingen eine ganz, ganz große Lektion in Selbst- und Fremdwahrnehmung – ich hatte ja sehr viel Unsicherheit am Anfang. Bei einem meiner ersten Konzerte linksherum spielten wir Händels Messias und es passierte, dass mir der Bogen ganz kurz auf die Saite fiel während einer Achtelpause – ich hatte den Bogen wohl kurz nicht richtig im Griff. Das war mir so wahnsinnig unangenehm. Das sieht man wie durch eine Riesenlupe in dem Moment und da hab ich mir eingebildet, es hören jetzt alle, dass mir der Bogen auf die Saite gefallen ist. Die erste Zeit war es schon eine sehr große Anstrengung, das durchzuhalten – muskulär und eben auch mental.
Woher hast du deine Instrumente?
Ich habe alle Instrumente umbauen lassen bis auf eine sehr schöne Geige – die habe ich verkauft und dafür eine Bratsche erworben, die ich sehr mag und auf links umbauen ließ. Ich hatte noch drei andere Geigen, die ich alle habe umbauen lassen. Also eine barocke Bratsche, eine moderne Geige zum Unterrichten, eine klassisch eingerichtete Geige und eine alte Barockgeige – die alle habe ich umbauen lassen. Außerdem ließ ich mir eine Geige direkt auf links anfertigen, also eine speziell für mich angefertigte Linkshändergeige.
Wo hast du all die Instrumente umbauen lassen?
Bei einem Geigenbauer in Ungarn. Und die Bratsche in Bremen.
Spielst du im Orchester? Was sind dabei deine Erfahrungen bezüglich der Seitigkeit?
Ja, ich spiele in Orchestern und kleineren Ensembles, aber in letzter Zeit weniger (Corona!). Davor habe ich ziemlich viel gespielt und meine Erfahrungen waren überwiegend sehr gut. Die Kollegen hat das Linksspielen erstaunlich wenig gestört. Es ist auch gar nicht mal so vielen Leuten aufgefallen: In einer meiner ersten Muggen, die ich auf der Linksgeige spielte, haben wir Bachs Matthäus-Passion aufgeführt. Die ist doppelchörig aufgebaut mit zwei kleinen Orchestern im Altarbereich und dahinter zwei Chören. Ich war im zweiten Orchester, also vom Dirigenten aus gesehen rechts, und mir gegenüber im ersten Orchester spielte eine Flötistin, die ich kannte. In der Pause sprach mich eine Kollegin aus der Geigengruppe auf mein Linksspielen an und die besagte Flötistin stand zufällig in der Nähe, hörte das Gespräch und fuhr plötzlich auf: „Ach so, DAS ist es, was anders ist! Ich hatte schon überlegt: irgendwas ist anders... Ob sie vorher eine andere Brille getragen hat oder nun eine andere Frisur hat...?“ :) Sie hatte also nicht gesehen, dass ich andersherum spielte, bloß wahrgenommen, dass etwas anders ist. Und das ist mir öfter so gegangen.
Ganz am Anfang dachten die Pultnachbarn, dass ich nun vermutlich wahnsinnig viel Platz bräuchte oder so. Aber man merkt schnell, dass das nicht so ist. Der Platz, den man braucht, ist ja derselbe. Die meisten denken, dass es Platz spare, wenn zwei Geiger in dieselbe Richtung streichen, weil sie sich den Luftraum für ihre Bögen teilen könnten, aber das ist nicht so. Du streichst ja auch als rechts spielender Geiger nicht in den Umkreis des anderen hinein. Es ist eine falsche Wahrnehmung. Denn wenn zwei Rechtsgeiger nebeneinander sitzen und streichen, dann hat trotzdem jeder seinen Radius um sich. Ich glaube, dass es eher verwirrend im Gesichtsfeld des Nachbarn ist, dass man neben ihm die Richtung umkehrt.
Es gibt andererseits diesen Effekt, wenn an einem Pult der eine linkshändig und der andere rechtshändig spielt, dass man sich gegenseitig zuspielen kann. Wenn beide zum Beispiel ihre Instrumente außen haben und sich in der Mitte die Bogenhände treffen, ist dies eine sehr schöne Art des aufeinander Zuspielens. Eine Bratschistin sagte mal zu mir: „Ach komm, lass jetzt mal andersherum sitzen und das auch ausprobieren.“ – also so, dass die Instrumente sich in der Mitte “Rücken an Rücken” treffen. War auch gut! Mit manchen Pultnachbarn ging es besser auf die eine Art, mit anderen auf die andere. Es ist eine schöne und andere Art des Zusammenspiels und erfreulich, dass viele sehr offen dafür waren.
Gab es auch negative Reaktionen?
Ich habe ein, zwei blöde Kommentare bekommen, also relativ wenig. Eine Geigerin sagte mal von oben herab: „Aha, und was ist jetzt anders?“ So nach dem Motto: ,,Und was ist jetzt besser geworden?“
Es ist eher so, dass häufig jemand zu mir kommt, mich anspricht, und irgendwas erzählt von einer Cousine, die ja auch eigentlich Linkshänderin sei und auch Geige spiele... oder etwas wie: „Ja ich bin ja eigentlich auch Linkshänder, aber ich mache das jetzt nicht mehr.“ Sehr viele Leute haben eine Aktie in diesem Thema und fühlen sich plötzlich angesprochen. Und haben dann natürlich das Bedürfnis nach Mitteilung, was aber im Arbeitsalltag nicht immer so gut integrierbar ist….
Spielst du heute noch rechtsherum?
Nur, wenn ich die Geige meiner Tochter stimme – sie ist Rechtshänderin und spielt dementsprechend auf einer Rechtshändergeige. Dann nehme ich ihren Bogen in die rechte Hand und stimme die Geige. Aber ansonsten nicht, nein. Ich spiele nicht mehr rechtsherum.
Siehst du für dich Vorteile darin, andersherum zu spielen, also linksherum?
Ja, ich glaube, dass das mein Weg war.
...und auch noch ist, weil du spielst ja noch, oder?
Ja, ich spiele noch, aber mittlerweile nicht mehr hauptberuflich.
Aber nochmal zum Umlernen und dass dies mein Weg war und ist: Ich hatte mich damals schon ab und zu gefragt: „Warum musste das so sein?“ Ich habe ja vieles aufgegeben dadurch, und das war und ist mitunter manchmal traurig. Einen Vorteil sehe ich darin, dass es mich zu einer besseren Lehrerin gemacht hat, weil ich nochmal neu, ganz von Anfang an alles gelernt habe und wusste, wie schwer es ist, beispielsweise den dritten Finger, wenn man von der oberen Saite auf die untere wechselt, sauber aufzusetzen. Die Erfahrung, mein musikalisches Handwerk gelernt und gekonnt zu haben und dann plötzlich wieder „ohne alles“ dagestanden zu haben, stumm und unbeholfen, war eine lange und sehr tiefe Durststrecke, eine Wüstenerfahrung. Sie hat mich stärker gemacht.
Und auch wenn ich nicht dasselbe spielen kann wie vorher an Repertoire, so habe ich jetzt das Gefühl, dass meine Geige viel intimer zu mir gehört. Das ist ein ganz großes Geschenk. Das wäre sonst nicht so passiert – ich habe lange genug sehr intensiv rechts herum musiziert, aber es hatte sich nie diese Innigkeit eingestellt. Das wurde mir auch einmal von einer ganz unbeteiligten Frau gespiegelt, und zwar in einem der ersten ganz kleinen Kammerkonzerte, die ich auf der Linksgeige spielend zusammen mit zwei Kollegen gegeben hatte. Das war ein Programm mit Weihnachtsliedern in verschiedenen alten Sätzen. Ich war die einzige Geige, und wir hatten noch eine Gambe und eine Theorbe. Die Frau kannte mich schon aus anderen solcher kleinen Konzerte und sagte nach dem diesem einen Konzert zu mir: „Ach, also irgendwas ist... es schien mir so anders. Es war so… so innig. Dein Klang war so innig.“ Das war für mich eine gute Beschreibung dessen, was ich unter anderem empfinde, seit ich entsprechend meiner Händigkeit linksherum spiele. Das Umlernen ist und war zwar sehr mühsam, sehr quälend zwischendurch – dass ich so abgeschnitten von dem zu sein schien, was ich doch schon konnte, also von ganz praktischen und technischen Fähigkeiten.
Aber eben diese Innigkeit und Intimität sind es, die nicht zu vergleichen sind mit dem vorherigen rechtshändig Spielen. Das ist der Vorteil – ja vielmehr: Das ist ein Gewinn.
Oh wie schön, vielen Dank, liebe Ursula! Und solch ein berührendes Schlusswort…