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AutorenbildHeidi Schneider

Klavier mit links – ein Selbstversuch. Über Sinn und Bedeutung des Linkshänder-Klaviers

Dieser Artikel erschien zuerst im März 2014 in der Zeitschrift PIANONews und wurde im Mai 2022 von der Autorin mit Anmerkungen in eckigen Klammern aktualisiert.


von Heidi Schneider


1963 erblickte ich in Thüringen das Licht der Welt in einer Familie, in der es ein Klavier gab. Mein Vater spielte regelmäßig darauf. Ich wollte schon in der Vorschulzeit Klavier spielen, aber erst nach zehn Jahren wurde mir dieser Wunsch erfüllt. Vorher war das Instrument tabu. Nach meinen ersten Klavierstunden in der vierten Klasse war ich schnell enttäuscht. Ich musste sofort nach Noten spielen. Melodien suchen, das Gehör schulen, frei spielen, das alles war verboten. Vorspiele gab es nicht. Nach vier Jahren hörte ich mit dem Unterricht auf. Ich konnte nichts auswendig spielen. Mein Spiel hatte keinen Klang. Ich kam im „Neuen Damm“ bis zu Stücken mit vier Kreuzen oder drei Bs.


Während meines Medizinstudiums nahm ich im vierten Studienjahr wieder regelmäßig Klavierstunden. Die Stücke gelangen mir nur sehr „nähmaschinenartig“. Auswendigspiel war unmöglich. Auch gelang es mir nicht, die neuen Anforderungen meiner Lehrerin an Phrasierung, Dynamik und Artikulation zu integrieren. Anschließend war ich mehrere Jahre als Assistenzärztin tätig. Seither besaß ich immer ein eigenes Klavier.


2001 begann ich während langer und schwerer Krankheit, mich der Musik intensiver zu widmen, besonders am Klavier, aber auch mit Gesang und Geige. Ich nahm regelmäßigen Unterricht in den drei Fächern und betreute Anfänger ohne Vorkenntnisse bei ihren ersten Schritten am Klavier. Hierfür schaffte ich viel Material an, besuchte interessante Kurse, graste die Musikmesse in Frankfurt ab und schnupperte an den verschiedensten Musikhochschulen. Mein besonderes Interesse galt der LERNGESCHWINDIGKEIT im Verhältnis zur Einstudierzeit. Meine Schüler sollten hinter den anderen nicht zurückstehen! Sie sollten zumindest einen besseren Start fürs Musizieren bekommen als ich ihn hatte. Ich verglich Schülervorspiele verschiedener Lehrer, hospitierte im Klavierunterricht bei Hochschuldozenten und bei Lehrern, die mit Anfängern arbeiteten.


2005 kaufte ich mir ein neues Bechstein-Klavier. Ich hoffte, mein Spiel durch die Freude, auf so einem Instrument zu üben, deutlich schneller zu verbessern. Doch nach vielen [ca. 10] Jahren des Übens mit einem Einsatz von etwa zehn Stunden pro Woche musste ich frustriert feststellen, dass ich im Schneckentempo vorwärts kam und nach dieser Zeit so viel lernte wie andere in ein bis drei Jahren.


Da ich mich mit Lerngeschwindigkeiten gut auskannte, mehrere Klavierdidaktik-Seminare und Improvisationskurse besucht hatte, veränderte ich mein Augenmerk und fragte mich: Warum lernen einige Schüler sooo langsam? Ich beobachtete diese Schüler sehr genau. Dabei stellte ich fest, dass ich mit ihnen gewisse Ähnlichkeiten hatte, nur hatte ich eine deutlich längere Trainingszeit hinter mir.


Immer wieder ging ich zu Klavier-Professoren zur Beratung, spielte vor und versuchte meine Probleme zu beleuchten: Ein Hauptproblem war, dass ich trotz Gesangsunterricht und viel Melodiespiel in der rechten Hand nicht eines der für meine Stimme gelernten Lieder auswendig oder nach Gehör spielen konnte, weder in C-Dur noch in einer anderen Tonart. Meine Rechte nahm einfach keine Melodie an. Viele Fachleute hatte ich mit dem Thema Händigkeit beim Klavierspiel konfrontiert und immer dieselbe Antwort erhalten: Das spielt gar keine Rolle. Als einzigen Tipp hörte ich: Das müssen Sie eben üben. Dummerweise hatte ich geübt, aber leider ohne Erfolg! Improvisieren und Transponieren ging überhaupt nicht, trotz der vielen tollen Kurse, die ich besucht hatte. In den Kursen war und blieb ich in der Ausführung das Schlusslicht.



Celia oder das Licht am Ende des Tunnels


Seit Januar 2011 unterrichtete ich Celia, ein Mädchen, das komplexere Dinge öfter mit der linken Hand erledigte, sich aber selbst für die Rechte als Schreibhand zum Schulanfang im Herbst 2010 entschieden hatte. Beim Einstudieren neuer Stücke fiel mir bei ihr immer eine minimale Hand-, bzw. Fingerbewegung in die Gegenrichtung auf. Genauer: Notenfolge z. B. c1-d1-e1-f1. Zwischen jeder neuen Aufwärtsnote rutschte ihre rechte Hand intuitiv erst ein Stück tonabwärts, nach links. Und das in jedem neuen Abschnitt von nach oben laufenden Noten. Dieses Phänomen beobachte ich jetzt bei einigen meiner linkshändigen Schüler, nicht bei allen!


Da ich verunsichert war, begann ich mich im Dezember 2011 in das Thema HÄNDIGKEIT einzulesen. Ich begann mit dem Klassiker von Dr. Barbara Sattler: „Der umgeschulte Linkshänder oder der Knoten im Gehirn“. [davon gibt es jetzt eine überarbeitete Neuauflage]. Während der Lektüre ergab sich für mich die neue Erkenntnis, dass ich selbst Linkshänderin bin, obwohl ich ausnahmslos alle antrainierten Tätigkeiten mit der rechten Hand als Bewegungshand und mit der Linken als Haltehand ausführte. Ich wäre in keinem Linkshändertest gefunden worden, aber das sagt nur etwas über die mangelnde Qualität der derzeitigen Tests aus, die die Händigkeitsstatistik weiterhin deutlich verfälschen.


Im Juni 2012 besuchte ich einen Kurs über linkshändiges Musizieren. Der Seminarleiter war Walter Mengler, Autor des empfehlenswerten Buches „Musizieren mit links“. Mir wurde dort sehr nahegelegt, Geza Loso in Trier zu besuchen und ein Linkshänderklavier auszuprobieren.



Geschichte des Linkshänder-Klaviers


Geza Loso, 1951 in Budapest geboren, kreierte im deutschsprachigen Raum zuerst das Linkshänderklavier. Er war sich seiner Linkshändigkeit von Kindheit an bewusst. Sein Klavier-Studium absolvierte er am Béla-Bartók-Konservatorium in der ungarischen Hauptstadt.


Schon früh nahm er wahr, dass er mit einer melodieführenden rechten Hand der Musik nicht den emotionalen Ausdruck verleihen konnte, den er empfand. Er wurde auf den Klang seines Klavierspiels angesprochen, der seinem wahren Talent nicht entsprach. So versah Loso 1973 ein Holzbrett mit einer gespiegelten Tastatur und spielte tonlos darauf. Das fühlte sich gut an und es entstand der Wunsch, so ein Piano zu besitzen. 1992 spielte er zum ersten Mal drei Monate lang hörbar auf seinem Keyboard mit gespiegelter Tastatur, ermöglicht durch den MIDI-Prozessor der EES M3-Serie.


Sechs Jahre später erwarb er ein Kawai-Keyboard, das für Linkshänder konzipiert war. Geza Loso hatte erst erfolglos Überzeugungsarbeit bei verschiedenen Klavierherstellern betreiben müssen, bis sich zur Jahrtausendwende die altehrwürdige Firma Blüthner in Leipzig seiner Idee annahm und ihm einen Linkshänder-Konzertflügel baute. 2001 wurde dieser Flügel (Blüthner Nr. 4) auf der Musikmesse in Frankfurt vorgestellt. Wie Loso berichtete, konnte er dem Flügel schon viel klangvolle Musik entlocken, obwohl seine Übezeit auf der gespiegelten Tastatur insgesamt für das Erlernen eines Instruments rech kurz war. 2010 baute ihm Blüthner dann das erste Linkshänder-Klavier.


Ein Linkshänder-Instrument, egal ob Flügel oder Klavier, ist durch die geringe Stückzahl mit einem erheblich höheren Aufwand für den Hersteller verbunden, der sich damals nicht wirklich im Verkaufspreis niederschlug. [Anmerkung Mai 2022: das hat sich leider extrem zu Ungunsten der linkshändigen Käufer verändert].


Wer mehr über Klavier mit links wissen möchte, sei auf die Internetseiten beispielsweise von Geza Loso oder Christopher Seed [+ linksgespielt] verwiesen.



Im September 2012 war ich also im Linkshänderklavier-Paradies von Geza Loso. Dort konnte ich den Blüthner-Flügel, das Blüthner-Klavier und ein Irmler-Klavier (Klangbereich wie üblich von A2 bis c5) ausprobieren. Am beeindruckendsten war für mich die Melodiefindung ohne Noten mit der linken Hand. Was die rechte Hand mir 39 Jahre hartnäckig verweigert hatte, erledigte die linke fast mühelos, zumindest bei einfachen Melodien.


Umgehend besorgte ich mir bei Thomann ein Digital-Piano von Kurzweil, das auf Linkshänder-Modus (Klangbereich von E2 bis g4) einstellbar ist. Auf diesem Instrument spiele ich seit dem 9. November 2012. Heute bin ich sehr froh, dass ich das erste Jahr der Umstellung hinter mir habe. Der Anfang war nicht immer nur angenehm. Aber die Leistungen nach einem Jahr Üben sprechen für sich.



Was hat sich bei meinem Klavierspiel durch die Benutzung des Linkshänder-E-Pianos nun geändert?


  1. Konzentration und Spielsicherheit haben sich deutlich verbessert, wobei es bei mir ja ein Umlernen ist und kein Neulernen von Anfang an.

  2. Auswendigspiel ging früher nur unter extremem Lernzeitaufwand und bei vielen Stücken überhaupt nicht. Jetzt ist es gut möglich, muss natürlich weiterhin auf die neue Art trainiert werden.

  3. Körpergedächtnis und Begreifen von Strukturen sind völlig anders. Konnten meine Hände maximal 2 bis 3 Töne ohne Denken nachspielen, so merke ich heute beim Blattspielen, wenn die Wiederholung kommt, dass ganze Takte (manchmal die ganze Zeile) noch gespeichert sind. Ich erfand immer hochkomplizierte Fingersätze. Jetzt finde ich schnell eine einfache Lösung dafür.

  4. Mentales Üben ist mühelos ausführbar. Obwohl ich eine gute Bildvorstellung habe, war es mir nie möglich, Klavier nur in der Vorstellung zu üben. Wenn ich Pianisten zuhörte, wusste ich oft nicht, mit welcher Hand tut sich da was. Seit ich weiß, dass bei mir die hohen Töne in der linken Hand gegriffen werden, geht das.

  5. Die Spielgeschwindigkeit in meiner linken Hand erhöht sich über das Melodiespiel deutlich. Ich bin über 50! Zuvor habe ich Etüden für die linke Hand am Rechtshänderklavier völlig erfolglos geübt.

  6. Improvisation war früher überhaupt nicht machbar. Jetzt kann ich spielerisch meine Ideen umsetzen und brauche natürlich Zeit und Unterstützung, um das weiter richtig zu entwickeln.

  7. Rhythmusschwierigkeiten waren bei mir an der Tagesordnung. Oft stoppte ich vor jedemTaktstrich oder jedem Begeitakkord. Darüber denke ich jetzt gar nicht mehr nach. Die rechte Hand setzt mir die Akkorde automatisch an die richtige Stelle bei Stücken, die meinem derzeitigen Spielstand entsprechen.

  8. Das Körpergefühl beim Spielen ist viel angenehmer. Es stellt sich ein natürlicher Spielfluss ein, begleitet von Freude und angemessenen Erfolgen.

Anfangsschwierigkeiten beim Umtrainieren hatte ich besonders beim Abspielen. Ich habe die Notenschrift vorerst beibehalten. Waren Gehirn und Hände so trainiert, dass die rechte Hand vorwiegend an die obere Notenzeile angebunden war, ist es jetzt umgekehrt. Bei neuen Stücken kam es manchmal mitten im Spielverlauf zur Verwechslung der Hände, am Anfang häufiger, jetzt deutlich weniger.


Synkopierte Stücke fallen mir schwer auf beiden Klavieren zu spielen, weil dann die vorher gewohnte Hand an der falschen Stelle mit ihrem reflexartigen Einsatz kommt.

Deshalb ist es beim Instrumentalunterricht besonders wichtig, dass von Anfang an mit dem richtigen, der Händigkeit und somit dem Gehirn entsprechenden Instrument begonnen wird. Dann ist ein Umlernen unnötig und die Spielfreude garantiert.


Über die reale Verteilung der Händigkeit (und somit unsere angeborene Art, das Gehirn zu benutzen) werden uns hoffentlich in der nächsten Zeit die Hirnforscher und Genetiker Auskunft geben (2014). [Trotz einiger Recherchen ist es mir bis heute – 2022 – nur mangelhaft gelungen, mehr Auskunft darüber zu erhalten.]

Ehe man als Instrumentallehrer dem Schüler mangelndes Talent oder fehlenden Fleiß unterstellt, sollte man bedenken, dass ungenügende Erfolge auch am falschen Instrument liegen können. Schüler, die die Unabhängigkeit ihrer Hände nur sehr verzögert oder gar nicht entwickeln können und nach kurzer Zeit das Klavierspiel wieder beenden, sind oft !nicht erkannte! Linkshänder. Sie brauchen das ihrem Körper entsprechende Instrument!


Die Instrumenten-Beschaffung für Linkshänder ist heute [gut] möglich. Es gibt die fantastischen Instrumente der Firma Blüthner. Einige ihrer digitalen Pianos sind auch im Linkshänder-Modus spielbar, außerdem gibt es D-Pianos von Kurzweil [die neueren Modelle sind leider nicht mehr umstellbar –> Ebay]. Die technischen Möglichkeiten sind immens. Aber durch den recht hohen Preis selbst der digitalen Varianten der Linkshänderinstrumente, sind Schülereltern oft nicht bereit, ein solches für ihre Kinder zu kaufen.


Leider sind meine Möglichkeiten zum Weiterlernen begrenzt, da mir in keinem der Kurse, die ich gerne besuchen würde, ein adäquates Instrument zur Verfügung gestellt wird. Allen zu beweisen, dass ich dieses und jenes auf dem Rechtshänderklavier wieder nicht hinbekomme, dazu habe ich keine Lust mehr. Stattdessen erfreue ich mich am Privatunterricht aufgeschlossener LehrerInnen bei mir zu Hause an meiner „Digital-Anlage“. Und schon bald am neuen Haessler-Blüthner-Klavier, das in Leipzig gerade für mich gebaut wird. [Update: Dieses Klavier erhielt ich im März 2014. Im Winter 2021/22 wurde die Tastatur verschmälert und auf meine Handgröße angepasst: ca. 5,9 Inch.]




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