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Als Rechtshänderin mit links streichen – Margret Wedel über verletzungsbedingtes Linksspielen

»Bogentechnik, ganz eindeutig, wird zum Handicap. Ich bin davon überzeugt, dass es ein Problem ist, wenn man nicht entsprechend seiner Händigkeit spielt.«

Dass linkshändige Menschen ihr Instrument mit rechts streichen, ist immer noch Alltag. Sehr selten gibt es aber auch den umgekehrten Fall: Margret Wedel spielte Jahrzehntelang als Rechtshänderin linkshändig in Amateurorchestern und Streichquartetten. Sophia Klinke hat mit ihr gesprochen.



Wie beschreibst du deine Händigkeit?


Ich bin klare Rechtshänderin. Aber ich hatte, als ich neun Jahre alt war, einen Unfall, bei dem ich beim Holzhacken das oberste Glied meines linken Mittelfingers verlor. Somit kam das Klavierspielen für mich nicht mehr in Frage.

Mein Vater, der ein leidenschaftlicher Amateurcellist war, überlegte, welches Instrument ich nun wohl spielen könnte. Am Beispiel von Herrn Kussmaul war er darauf gekommen, dass man ein Streichinstrument umbauen kann, und hat daraufhin ein Instrument der Klingenthaler Schule für mich gekauft. Das muss 1948 gewesen sein. Diese Geige wurde bei dem Geigenbauer Monke in Köln zu einer Linksgeige umgebaut.

Mit dreizehn Jahren habe ich bei einem leider nicht sehr qualifizierten Geigenlehrer Unterricht bekommen und von Anfang an als Rechtshänderin linksherum gespielt.



Gab es von irgendeiner Seite Vorbehalte, dass du linksrum spielst?


Nein und von mir aus sowieso nicht. Ich war ja froh, dass mein Vater eine Lösung gefunden hatte und wollte unbedingt, wie er, auch Musik machen. Damit bin ich groß geworden: mit Hausmusik und Kammermusik.

Ich hatte mir nicht groß Gedanken gemacht, ob das nun gut oder schlecht sei, nicht entsprechend der Händigkeit Geige zu spielen. Ich hatte ja auch gar keine andere Wahl. Insofern gab es keine Vorbehalte.



Woher hast du deine Instrumente?


Eine Geige habe ich von meinem Vater, die er wohl in der Zeit nach dem Krieg von einem Zigeuner gekauft hatte. Das war 1948, denn ich weiß, dass ich 1949 mit dreizehn Jahren mit dem Violinunterricht begann. Da wir durch den Krieg in eine dörfliche, ländliche Gegend verschlagen waren, gab es keine große Auswahl an Lehrern.

Ich hatte drei Jahre bei einem Lehrer Unterricht, der die Hohmann-Heim-Violinschule im Schnellgang mit mir durchnahm und gar nicht auf Technik, vor allen Dingen nicht auf Haltung, achtete.

Dadurch hatte ich, als ich später nach Köln kam und dort zu sehr gutem Geigenunterricht fand, erst einmal sehr große Schwierigkeiten, diese ganzen Fehler wieder auszumerzen. Das war in den letzten drei Jahren vor dem Abitur, und danach war gewissermaßen dann auch erst einmal wieder Schluss mit regelmäßigem Unterricht, sodass ich leider nicht sehr weit gekommen bin mit meiner Technik. Aber ich hatte natürlich im Schulorchester gespielt und zu Hause viel Musik gemacht und gehört. Mein Vater ließ nie locker. Er hat immer Literatur für unsere Familienbesetzung gefunden. Es wurde viel musiziert, aber oft auch Kammermusik, die für mich eigentlich zu schwer war.



Du spielst auch Bratsche. Wie kam es dazu?


Die Bratsche habe ich kurz vor dem Abitur in einem Konzert – zwar nicht direkt solistisch, aber als Begleitung des Evangelisten in der Passionsmusik von Johann Theile – kennengelernt und war so fasziniert von dem Klang dieses Instruments, dass für mich feststand: »Ich will unbedingt anfangen, Bratsche zu spielen!« Und dann hatte ich das Glück, dass meine Eltern mir durch die Geigenlehrerin ein Instrument kaufen konnten – ein sehr schönes Instrument.


Dieses Instrument wurde bei Monke in Köln zu einer Linkshänderbratsche umgebaut. Ich habe daraufhin die Grundbausteine des Bratschenspielens gelernt, war danach aber eigentlich mir selbst überlassen.

Ich bin nach Heidelberg zum Studium gegangen und dort sofort sowohl ins Collegium Musicum als auch in ein Streichquartett aufgenommen worden, welches mich über die ganze Studienzeit begleitete. Das Quartettspiel hatte für mich immer Vorrang vor dem Orchesterspiel. Seit dieser Zeit, also seit 1955/56, habe ich mein ganzes Leben lang Quartett gespielt. Jetzt bin ich 85 und habe vor zwei Jahren aufhören müssen mit dem Musizieren. Natürlich, meine technischen Möglichkeiten waren begrenzt und deswegen auch die Literatur, die ich spielen konnte. Aber ich habe in vielen Quartetten Bratsche gespielt und mit vielen verschiedenen Menschen Musik gemacht.

Streichquartett zu spielen war für mich immer der Höhepunkt. Man hat mehr als im Orchester die Möglichkeit, die eigene Stimme zu gestalten und spielt als Bratsche eine Mittlerrolle zwischen den beiden Geigen und dem Cello. Das ist eine schöne Aufgabe!


Margret Wedel im Orchester


Du spieltest dennoch viel in Orchestern. Was waren dort deine Erfahrungen bezüglich des Linksstreichens?


Ja, in Orchestern habe ich auch immer gespielt. An verschiedenen Orten in Heidelberg, in Kiel, nachher in Oldenburg und Münster. Es wurde nie ein Problem darin gesehen, eine linksstreichende Bratscherin ins Orchester aufzunehmen.

Natürlich waren das alles Amateurorchester auf gutem mittlerem Niveau. Ich habe teilweise mit einer anderen Bratsche an einem Pult spielen können. In der letzten Zeit saß ich allerdings mehr am Einzelpult und vor allen Dingen war wichtig, dass ich immer an der Außenseite der Bratschengruppe saß, weil ich so niemanden behinderte. Aber selbst bei Kirchenkonzerten, wo es ja oft eng ist, weil man im Altarraum sitzt, wurde immer eine Lösung gefunden. Das ist nie ein Problem gewesen.


Ich habe zwischendurch immer wieder Unterricht genommen, aber nie hat mich eine Lehrerin oder ein Lehrer abgelehnt weil ich andersherum streiche. Ich denke, dass man das, was der Lehrer oder die Lehrerin vormacht, automatisch nachmacht. Und die theoretischen Erklärungen kann man ja sowieso übertragen.



Negative Reaktionen gab es demnach also nicht. Hattest du aber schon kuriose Erlebnisse mit deiner Spielweise?


Ja. Ich bin natürlich immer wieder nach Konzerten angesprochen worden. Die Zuhörer waren ganz erstaunt. Manchmal habe ich auch gemerkt, dass während wir musizierten, im Publikum irgend jemand seinen Nachbarn anstieß und sagte: »Guck mal, da! Die spielt ja anders herum!« Das ist häufig vorgekommen. Vor allen Dingen wurde ich hinterher oft angesprochen: »Wie kommt das denn?« Und: »Kann man das denn?« Aber nie negativ, sondern interessiert.



Vorhin hattest du gesagt, dass es technisch Schwierigkeiten für dich gab. Wie ist es für dich, aufgrund des Unfalls in früher Kindheit, nicht entsprechend der Händigkeit gespielt haben zu können?


Diese Schwierigkeiten habe ich durchaus empfunden. Dass ich eben mit der linken Hand streichen musste, obwohl ich Rechtshänderin bin! Ich habe immer wieder Schwierigkeiten mit der Bogentechnik gehabt: Kleine Bewegungen zum Beispiel, schnelle Saitenübergänge, sind für mich ein Riesenproblem. Womit ich große Probleme habe, das ist längeres Pizzicato. Ich kann den Bogen nicht so fest in der Hand halten wie andere Spieler, da mir ja vom Mittelfinger das obere Glied fehlt. Das merke ich besonders, wenn ich Pizzicato machen muss. Benjamin Brittens ›Simple Symphony‹ war immer ein Horrorstück für mich.


Bogentechnik, ganz eindeutig, wird zum Handicap, wenn man nicht entsprechend der natürlichen Händigkeit spielt. Das Greifen mit der rechten Hand ist nicht so problematisch, da ich ja Rechtshänderin bin.



Gibt es noch etwas, das du ergänzen möchtest?


Ich bin davon überzeugt, dass es ein Problem ist, wenn man nicht entsprechend seiner Händigkeit spielt. Meine letzte Stimmführerin – eine gute Geigerin und Bratscherin, die als Linkshänderin jedoch entsprechend der Konvention das Geigenspiel rechts herum erlernte – und ich waren ein interessantes Gespann: Sie, die Linkshänderin, die rechts streichen musste und ich die Rechtshänderin, die links streichen musste.

Wir haben uns immer wieder bestätigt, dass das doch ein großes Handicap ist. Obwohl diese Kollegin wirklich eine gute Geigerin und später Konzertmeisterin des Orchesters war, sagte sie immer wieder: »Ich merke, dass ich nicht nach meiner natürlichen Veranlagung musiziere.«


Vielen Dank, liebe Margret, für dieses schöne, interessante Gespräch!



 

Verletzungsbedingtes Linksstreichen gab und gibt es auch im professionellen Bereich. Beispiele dafür waren bzw. sind Hans-Ludwig Becker, Jürgen Kussmaul, Reinhard Goebel, Margaret Artus, Dieter Görnandt, Rivka Mandelkern, Rudolf Kolisch und Richard Barth.

Interviews mit professionellen MusikerInnen, die aufgrund ihrer Händigkeit mit links streichen, sammeln wir hier.

Eine Liste aller uns bekannten professionell linksstreichenden Orchestermitglieder der Geschichte und Gegenwart, finden Sie hier.


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