„Der größte Vorteil ist dieses Gefühl! Wenn ein Linkshänder gezwungen wird, mit rechts zu streichen, hat er eigentlich immer Probleme, das zu fühlen, was ich im Unterricht erreichen möchte. [...] Ich kann keine Saite ziehen, wenn ich das nicht fühle. Deswegen ist es für mich auch so eindeutig, dass ich niemandem dieses Gefühl wegnehmen möchte! Diese Resonanz, dieses Vibrieren zu spüren – man hat das in seiner nicht-dominanten Hand eben nicht.“
Mechthild van der Linde studierte Cello und AME an der Musikhochschule Detmold. Anschließend unterrichtete sie Cello, Kammermusik und Orchesterleitung an der Musikschule Bocholt. Von 1989 bis 2004 hatte sie einen Lehrauftrag für die Didaktik des Cellounterrichts in Dortmund inne, von 2008 bis 2020 an der Robert-Schumann-Musikhochschule in Düsseldorf. Sie wirkte am Lehrplan für Violoncello des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) mit und ist Fortbildnerin für Cello-Lehrkräfte. Durch einen Vortrag von Walter Mengler in den 1990er Jahren ist sie auf die Thematik der Händigkeit und des invertierten Spiels für Linkshänder aufmerksam geworden und unterrichtet ihre linkshändigen Schüler seitdem entsprechend.
Im Gespräch mit Laila Kirchner am 26.04.2024
Laila Kirchner: Vielen Dank, dass Sie sich zu einem Interview bereit erklärt haben! Als ich damals in Dortmund in der JeKits-Celloklasse [„Jedem Kind Instrumente, Tanzen, Singen“, ein kulturelles Bildungsprogramm in Grund- und Förderschulen des Landes Nordrhein-Westfalen] bei Ihnen hospitiert hatte, hat mich Ihre Arbeit mit den Schülern und insbesondere, dass alle Linkshänder links gestrichen haben, sehr inspiriert. Es gibt ja inzwischen viele gute Entwicklungen hin zu mehr Offenheit gegenüber linkshändigem Spiel in der Pädagogik...
Mechthild van der Linde: Und leider auch das krasse Gegenteil! Einer meiner Studenten, Fabian Reichart, hat direkt nach dem Studium in Iserlohn eine volle Stelle an der Musikschule bekommen. Er hat überhaupt nicht drüber nachgedacht und ein Mädchen linksherum unterrichtet, weil er das von mir so kannte. Der Musikschulleiter hat ihm tatsächlich verboten, dieses Mädchen weiter so zu unterrichten. Daran hat er sich nicht gehalten. Da hat er eine Abmahnung gekriegt und mich als „Koryphäe“ gebeten, ihm dafür etwas zu schreiben. Daraufhin hat der Musikschulleiter wiederum einen Musikwissenschaftler oder Musikphysiologen aus Hannover zitiert, der behauptet, das würde überhaupt nichts ausmachen, wenn Linkshänder mit rechts streichen.
LK: Die Studie kenne ich und habe sie auch in meiner Bachelorarbeit zitiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass es am Anfang schwieriger sei, aber wenn man ausreichend übe und Profi geworden sei, es nichts mehr ausmache. Diese Studie ist meines Erachtens jedoch nicht so einfach auf einen Musikschulschüler übertragbar, da sie ausschließlich (angehende) professionelle Musiker befragt – die ja offensichtlich zu den Linkshändern gehören, die am konventionellen Instrument zurechtkommen.
MvdL: Dagegen habe ich mit den psychischen Schäden von linkshändigen Kindern, die zum Schreiben mit rechts gezwungen werden, argumentiert. Ich hatte Verbindung zu einem Institut für Linkshändigkeit in Münster, in das ich bereits Schüler geschickt hatte, um ihre Linkshändigkeit testen zu lassen. Sie sagen, es gibt eben tatsächlich eine ganz große Bandbreite an Händigkeit.
Die haben auch eine Studie darüber herausgebracht, welche psychischen Schäden bei Kindern entstehen, die gezwungen werden, andersherum zu schreiben. Die Studie hatte ich in einem Zeitungsartikel in Iserlohn veröffentlicht und bin natürlich seitdem ein rotes Tuch für diesen Musikschulleiter (lacht). Die öffentliche Debatte lief weiter...
LK: Ja, das ist schade. Es sind leider einfach Kinder, die darunter leiden, entgegen ihrer Händigkeit zu spielen (ich habe es ja selber auch an anderer Stelle erlebt), die wahnsinnig aggressiv werden, nichts umsetzen können, total gestresst sind und natürlich auch keine Liebe zum Instrument entwickeln können. Das macht ja, selbst wenn sie dann aufhören, irgendwie etwas kaputt in ihnen.
Eigener Anfang mit dem Thema
MvdL: Ja. Das war beim allerersten Fall, den ich linksherum unterrichtet hatte, so eindeutig! Ich würde nie wieder, wenn ich weiß, dass es so eindeutig ist und auch von dem Kind automatisch gewünscht wird, einen Linkshänder rechts spielen lassen.
LK: Wie alt war der Schüler?
MvdL: Er war zwölf, spielte aber schon sechs Jahre rechtsherum Cello. Im Cellolehrer-Treff hatten wir damals den Vortrag von Walter Mengler besprochen und danach fiel es mir wie Schuppen von den Augen – für alle meine Linkshänder!
Ich hatte bis dato schon viele Linkshänder unterrichtet und hab mir so irgendwie schon gedacht: Gefühlsmäßig ist das nicht so klasse für die Linkshänder! Aber man hat es ja nie thematisiert. Das war Mitte der 80er Jahre oder höchstens Anfang der 90er, also 30 Jahre ist das sicher her. Ich hatte einen Schüler, der dann auch studiert hat, der eindeutiger Linkshänder war und Monat für Monat immer in Tränen ausgebrochen war und verzweifelt sagte: „Ich kann das nicht fühlen, was du willst!“ Ich hab immer gearbeitet: „So, versuch doch mal, dich da rein zu fühlen in den Klang...“ Er war hyperbegabt. Er konnte alles sofort spielen, aber er konnte nie diesen Zugang finden... und wollte aber!
Er war zuerst bei den Wiener Philharmonikern und ist mittlerweile in Lissabon Solocellist. Er spielt nach wie vor rechtsrum, aber hatte massive Schwierigkeiten – ganz, ganz massive! – und kannte eben eigentlich keine Schwierigkeiten sonst… Nur diese Schwierigkeit, rechts zu fühlen und zu sagen: Rechts führt! Er hat immer wieder ausprobiert: Wie fühlt sich das an? Wie kann man das machen? Und dann hat er es natürlich durch Fleiß und durch wahnsinnig viel Engagement geschafft, aber der wäre natürlich linksrum viel schneller gewesen! – Unvergleichlich viel schneller…
LK: Und er hätte weniger gelitten.
MvdL: Genau. Das war jetzt so eines von den professionellen Beispielen... Und dieser Zwölfjährige, der dann eben kam, direkt nach dem Vortrag von Mengler. Also, der war schon länger bei mir und ich hab mich immer geärgert, denn der machte nur Quatsch! Die Eltern waren beide Musiker – der Vater Cellist, die Mutter Geigerin. Die Mutter war auch Linkshänderin und schon länger daran, zu probieren, dass sie mit links gestrichen hat und dann versucht hat, das rechts nachzuempfinden.
Ungefähr 14 Tage später hab ich dann einfach gesagt: „So, wir probieren das mal. Nimm mal das Cello in die andere Hand!“ Und es rollten sogleich die Tränen bei ihm! Sofort. Es war wie so ein ,,Ja, so muss sich das anfühlen!“ Er hatte zuvor eigentlich immer nur herumgekaspert und Quatsch gemacht, weil er nicht fühlen konnte, was ich wollte, und genau gemerkt hat: „Was die da von mir will, das kann ich gar nicht!“ und dann war das in seiner Art – ein temperamentvolles Kind und irgendwie auch bockig: ,,Nein, ich will das nicht so, wie alle anderen das wollen!“ Aber er wollte nicht, weil er eben nicht konnte und weil er gar nie erfahren hatte, dass man das können kann. Er hatte sich von jetzt auf gleich für das Linksspielen entschieden. Sein Vater war ja Cellist und ist Rechtshänder und hat dann erstmal ein bisschen geschluckt. Die linkshändige Mutter hatte sich an ihren eigenen Leidensweg im Studium erinnert und war sofort dabei: „Ja, wir machen das, auf jeden Fall – egal, ob er mal Profi werden will oder nicht!“
LK: Wo kam dann das Instrument her?
MvdL: Das war erstmal ein ganz normales Instrument vom Geigenbauer, bei dem nur der Steg und die Saiten umgedreht wurden. Das war noch ein Dreiviertel-Cello. Alle weiterführenden Instrumente, auch jetzt in den letzten Jahren, kamen immer von Streichinstrumente-mieten.de. Die haben komplett alles, was sie haben, auch für Linkshänder, damals sogar Kontrabässe. Ein sehr umfangreiches Sortiment und schöne Instrumente. Man braucht es nur zu schreiben, dann erhält man ein gut eingerichtetes Linkshänderinstrument.
LK: Ich habe gehört, dass Volker Bley in Dortmund auch Linkshänderinstrumente vermietet.
MvdL: Ja, der macht das auch. Es ist ein bisschen teurer, aber der bietet das auch an...
Also dann hab ich eben mit diesem Schüler, Markus, gearbeitet und der war ungelogen in einem halben Jahr linksrum weiter als vorher in 6 Jahren rechts. Er hat dann auch bis zum Abitur mehrfach im Landesjugendorchester gespielt und ist bis zum Bundeswettbewerb bei Jugend Musiziert mit Kammermusik durchgekommen. Er hat eben ein wirklich echtes Interesse entwickelt, wo man vorher gedacht hat: „Das ist so ein Kind, welches von den Eltern nur dahin getrieben wird.“ Er hat dann gerne Cello gespielt, richtig gerne.
Linkshänder im Musikschulorchester
LK: Wie war das für ihn in Orchestern, also war das immer unproblematisch? Ich meine, das war ja schon recht früh, wenn Sie sagen „Anfang der 90er“...
MvdL: Ja, das müsste so Anfang der 90er gewesen sein. Er war bei uns im Orchester der Musikschule Dortmund und im Cello-Orchester und dann eben bei der Aufnahmeprüfung fürs Landesjugendorchester. Zu dem Zeitpunkt war er nicht mehr bei mir, da hatte ich ihn an Hauke Hack abgegeben.
Wir haben bei uns im Jugend-Sinfonieorchester aktuell eine Linkshänderin – auch eine Schülerin von mir –, die sofort linksrum angefangen hat. Die ist jetzt über 20 und hat mit 4 angefangen; ist erst spielerisch so alle 6 Wochen gekommen und als sie sich dann selbst richtig dafür entschieden hatte, war sie auch schon so 7 Jahre alt. Die hatte eben von Anfang an linksrum gespielt. Das geht problemlos. Klar, sie braucht ein bisschen mehr Platz in der Gruppe, anders als wenn die Leute alle in die gleiche Richtung streichen. Aber unter den Jugendlichen ist das kein Problem. Irgendwann kam mal eine Geigerin und sagte: „Es wäre doch ganz toll, wenn alle zweiten Geigen linksherum spielen würden, dann würden die ersten Geigen da sitzen und die zweiten Geigen da.“ Das war so eine Phantasievorstellung. Klar, das ist dann auch wieder ungerecht, wenn man alle Linkshänder dazu verdonnert, zweite Geige zu spielen. Das ist auch keine Lösung.
LK: Sitzen in diesen Orchestern die Linkshänder auf der linken oder auf der rechten Seite?
MvdL: Mal so, mal so. Meistens sitzen sie außen, weil sie das besser finden, als innen zu sitzen. Und wir sind ja so viele Cellisten; deswegen sitzen immer drei oder sogar vier in einer Reihe und da sitzen sie meistens außen. Da haben sie am besten das Gefühl, dass sie sich gut bewegen können. Wenn wir mal anders aufbauen müssen, weil die Stimmverteilung anders ist, dann brauchen sie einfach ein bisschen mehr Platz.
Anzahl der links spielenden Schüler insgesamt
LK: Wie viele Celloschüler haben Sie bisher linksherum unterrichtet?
MvdL: Im Moment habe ich gar keinen, aber es waren schon eine ganze Reihe. Sieben oder acht. Und das waren nur die Einzelschüler. Mit JeKits waren es noch mehr! Natürlich, es waren ja manchmal zwei Kinder in einer Gruppe, die links spielten. Das waren sicher nochmal zehn. Aber die hab ich dann ja immer nur für diese drei Jahre gesehen und unterrichtet. Und ich weiß, Florentine zum Beispiel, eine der letzten jetzt, bevor ich damit aufgehört habe, spielt auch noch Cello. Von den anderen weiß ich jetzt nicht genau, wer weitergemacht hat.
LK: Als ich damals bei Ihnen im JeKits-Projekt hospitierte, waren es drei. Ich war total fasziniert! Weil ich gerade den Studienort gewechselt hatte von Osnabrück, wo ich meine Bachelorarbeit zu dem Thema geschrieben hatte, nach Münster. Ich musste ein Praktikum machen und suchte mir etwas in Dortmund, weil ich dort wohnte. Ich hatte natürlich überhaupt keine Erwartungen. Direkt am ersten Tag sollte ich die Instrumente der Kinder stimmen, ging von einem zum nächsten und merkte plötzlich: Irgendwas stimmt hier nicht! Ich dachte mir: Ok, das ist aber besonders – ein Linksspieler! Aber dann kam der nächste und die übernächste... die saßen halt nebeneinander. Ich war fix und fertig! Es waren zwei Jungen und ein Mädchen.
MvdL: Ja, der eine, Ole, war sehr begabt! Und Tibor, der auf Kontrabass umgestiegen ist, hat dann zur Jazzakademie gewechselt. Er hat gerade sein Abitur gemacht. Das Mädchen war Katrin. Die macht gerade ein freiwilliges soziales Jahr bei uns an der Musikschule. Sie hat jetzt wieder ein Cello. Sie hat dann zwischendurch nur Gesang gemacht und ihre Gesangslehrerin hat ihr jetzt ein Cello, was Jahrzehnte lang herum lag, geliehen und Herr Bley, der Geigenbauer aus Dortmund, hat es auf links umgebaut. Jetzt spielt sie wieder ein bisschen Cello und Gitarre. Sie will Gesang studieren auf Lehramt.
LK: Das ist ja schön zu hören!
Vorteile des Linksspielens
MvdL: Die größten Vorteile, dass Linkshänder mit der dominanten Hand streichen, also das ist schon dieses Gefühl! Wenn ein Linkshänder gezwungen wird, mit rechts zu streichen, hat er eigentlich immer Probleme, das zu fühlen, was ich im Unterricht erreichen möchte. Wenn ich einen Schüler einfach nur über die Saite rutschen lasse, dann fällt das nicht auf. Aber wenn ich einen Anspruch habe, dass ein Ton wirklich klingt und die Resonanz gefühlt wird – also man spürt ja beim Ziehen, wie die Seite unter der Hand vibriert – und wenn das ein Linkshänder nicht spüren kann, weil die Hand das eben einfach nicht hergibt, dann muss man das andersrum machen! Alles andere ist erzogen. Man kann mit Fleiß vieles ausgleichen, aber eben nicht alles.
LK: Vor allem kann man die Händigkeit nicht ändern und dieses Gespür der dominanten Hand auf die andere umpolen. Also, ich spüre dann alles in der Greifhand und empfinde die Bogenhand als ganz weit weg.
MvdL: Ja, das ist eben die Veranlagung, die durch die Händigkeit bedingt wird. Man merkt es ja schon, wenn man Schüler übernimmt, die linkshändig sind, dass die dann links eine Wahnsinns-Intensität an den Tag legen. Also das war zum Beispiel bei Julia, die dann nicht umgestellt hat, auch so. Dass das Vibrato eher zu schnell war, mit sehr viel Druck in der Hand agiert wurde. Das hat mich dann eben dazu gebracht, dass ich sofort gemerkt habe: Da liegt irgendwie auch eine Linkshändigkeit vor. Die hat aber dann nicht umgestellt, hatte aber relativ kurz, nachdem sie bei mir angefangen hatte, einen Schlüsselbeinbruch links. Das war eine unfassbar gute Situation, weil sie dann links nicht mehr greifen durfte, wir also nur Bogenübungen machen konnten. Sobald sie links anspannte, tat es weh. Das heißt, man hat gemerkt, dass sie am Anfang erst keinen einzigen Ton spielen konnte, ohne dass das weh tat. Das zu erzielen, dass sie sich sagte: „Ok, ich kann rechts etwas tun, ohne meine linke Hand anzuspannen“, das hat hinterher – nachdem sie dann wieder greifen durfte – dafür gesorgt, dass die linke Hand nicht mehr so verspannt war. Das sorgt natürlich trotzdem nicht dafür, dass sich die rechte Hand super einbringen kann. Aber zumindest war dieser Kampf durchbrochen, dass es alles mit einem wahnsinnigen Kraftaufwand ausgeführt wird. Das hatte einen sehr positiven Effekt gehabt. Natürlich war das ein Fall, den kann man so nicht erzielen kann. Diese Schmerzreaktion war so deutlich, dass sie gemerkt hat: „Oh, mein Streichen geht immer von hier [links] aus. Also ich will mit rechts ziehen, aber links spannt es sich an.“ Das abzuerziehen, hat natürlich schon diese sechs bis acht Wochen gebraucht. Die hat sie wirklich sehr gut genutzt.
Eigener Versuch, links zu spielen
LK: Haben Sie denn selbst mal probiert, linksherum zu spielen?
MvdL: Ja… ja, aber schwer! Natürlich kann ich ein bisschen leere Saiten streichen und auch Lagen spielen und so… also, es ist für mich ein Gefühl, das ist wirklich schrecklich!
LK: Dann können Sie das vielleicht ein bisschen nachvollziehen, wie es sich für einen Linkshänder anfühlen könnte, rechts zu streichen?
MvdL: Ja, irgendwie… das fühlt sich einfach fremd an.
LK: Ich habe mein Linkscello während meiner Anfangsphase im Bachelor-Studium auch einmal Studienkollegen in die Hand gedrückt, einfach, damit sie ausprobieren können, wie sich das anfühlt. Ich weiß nicht, ob irgendjemand von denen diese Thematik im Hinterkopf behalten hat oder nicht, aber es war interessant zu beobachten, wie unterschiedlich sie sich angestellt und was sie beschrieben haben. Ein Rechtshänder, der öfter geübt hatte, mit links zu streichen, um mental flexibler zu werden, konnte das richtig gut – besser als ich anfangs!
MvdL: Also für mich war es wirklich fremd, obwohl ich selber auch eigentlich eher viel mit der linken Hand mache. Also auch Messer und Gabel andersrum benutze und von der anderen Seite aufs Fahrrad aufsteige... Es gibt also auch linkshändige Anteile in mir. Aber beim Cello war das so eindeutig: Ich brauche einfach dieses Gefühl! Ich kann keine Saite ziehen, wenn ich das nicht fühle. Deswegen ist das für mich auch so eindeutig, dass ich niemandem dieses Gefühl wegnehmen möchte! Diese Resonanz, dieses Vibrieren zu spüren – Man hat das in seiner nicht-dominanten Hand eben nicht. Das fühlt sich wie so ein Klotz an.
Begrifflichkeit beim Unterrichten
LK: Hat es jemals Situationen gegeben, bei denen Sie selbst oder die Schüler verwirrt waren, weil ein Schüler invertiert gespielt hat? Haben Sie direkt die Begriffe „Bogenhand“ und „Greifhand“ verwendet?
MvdL: Ja, das schon. Bei dem ersten linksspielenden Schüler, Markus, habe ich gemerkt, ich kann den nicht am Nachmittag mittendrin unterrichten. Ich musste ihn dann ans Ende legen und mich davor einmal kurz selber orientieren, meinen Verstand sortieren und dann konnte ich ihn unterrichten. Aber ich hätte nicht so schnell hin und her switchen können, wie es dann später der Fall war. Das hat wirklich so ein bis zwei Jahre gebraucht, bis ich das Vokabular und auch die Fähigkeit hatte, zu sehen: „Ach ja, das ist jetzt deshalb so!“ Am Anfang habe ich schon gerätselt: „Ist die Haltung jetzt richtig? In welche Richtung muss ich das jetzt drehen?“ Man hat schon so einen Knoten im Gehirn als Rechtshänder, wenn man linksspielende Linkshänder beobachtet. Aber das ist auch einfach ein Gewöhnungsprozess.
LK: Ja, das geht ja sogar mir als Linkshänderin so, obwohl ich auch links spiele, weil es einfach so selten vorkommt. Man muss sich das erst einmal übersetzen. Ich habe es ja auch mit den gängigen Begriffen „rechts“ für Bogenhand und „links“ für Greifhand gelernt.
MvdL: Aber die Schüler haben nie Verwirrungen gehabt. Also die eindeutigen Linkshänder nehmen ja auch – wenn man sie in Ruhe lässt und erstmal gar kein Vorbild gibt, sondern sie das Cello selbst nehmen lässt – von vornherein den Bogen in die linke Hand. Es gibt ja auch einige Tests dazu. Auch bei mir nehmen sie den Bogen einfach in die linke Hand. Es gab tatsächlich auch Fälle, wie bei Ole, den Sie auch erlebt haben, bei denen die Mutter ihm das vorab zu Hause gezeigt hatte und immer gesagt hatte: „Nein, du musst das andersrum nehmen“, und der dann nach der ersten JeKits-Stunde ganz freudestrahlend nachhause kam und sagte: „Es gibt auch für Linkshänder Celli und ich will jetzt ein richtiges!“ Der das eben sofort in die andere Hand nahm und ich ihn fragte: „Ole, bist du Linkshänder?“ Er hatte das vorher nämlich nicht angegeben. Aber es war ganz eindeutig. Also manchmal sind die Eltern da auch beeinflussend, weil sie von der herkömmlichen Spielrichtung ausgehen.
Elternarbeit
LK: Was begegnet Ihnen denn von Seiten der Eltern generell? Unterstützen die das Spiel ihrer linkshändigen Kinder oder bringen sie eher Bedenken und Vorurteile vor?
MvdL: Ja, also bei Eltern habe ich das sehr häufig mitbekommen. Eben wenn die Eltern selbst eindeutige Rechtshänder sind und auch Linkshändigkeit nicht so häufig in der Familie vorkommt. Da ich viele Eltern habe, die selbst als professionelle Musiker arbeiten, begegnen mir häufig Vorurteile, ob man damit nicht von vornherein eine professionelle Karriere ausschließt, wenn man linksherum spielt.
Relativ am Anfang hatte ich einen Fall, da hatten der Onkel und der Opa versucht, das zu verhindern. Beide waren Berufsmusiker: „Naja, wenn der mal wirklich Berufsmusiker werden will, dann hat er keine Chance!“ und „Das geht nicht, das kann man nicht bringen!“ Und eben auch diese Theorie vertreten haben, dass es ja links auch schwer ist und es für beide Hände Aufgaben gibt, die anspruchsvoll sind. Da musste ich ganz schön ackern! Da war die Mutter dann Gott sei Dank verständnisvoll. Sie war Grundschullehrerin und hatte das Prinzip, dass man eben Kinder nicht umschulen sollte, schon sehr verinnerlicht und die hat dann auch gesagt: „Nee, nee, das gibt es nicht. Wenn der Felix das will, dann spielt er linksherum.“ Der wollte auch definitiv mit links spielen.
Das war bei einem Jungen, dessen Vater bei den Dortmunder Philharmonikern spielt, auch so, dass der Vater meinte: „Ja ich weiß nicht, das wird doch so nie etwas richtiges…“, also sehr negativ war und ich noch euphorisch argumentierte: „In den nächsten 20 Jahren wird sich das wahrscheinlich durchsetzen und normal werden!“ Also jetzt sind schon 30 Jahre vergangen und es ist immer noch nicht normal (lacht).
Weitergabe an Studenten
LK: Als ich bei Ihnen hospitiert hatte, waren Sie ja noch Dozentin in Düsseldorf. Haben Ihre Studenten das aufgegriffen?
MvdL: Ja! Fabian zum Beispiel war in Düsseldorf mein Student. Und Julia auch, die jetzt bei uns an der Dortmunder Musikschule eine volle Stelle hat. Fabian war ja derjenige, der das auch sofort verinnerlicht hatte und als diese Schülerin kam, sie sofort selbstverständlich linksherum unterrichtet hat. Julia hat den Felix übernommen, dessen Verwandte das am Anfang verhindern wollten. Von meinen Studenten wüsste ich eigentlich keinen, der das nicht bereitwillig machen würde. Christiane Schröder hat meine Stelle in Bocholt übernommen und macht das auch.
LK: Aber gab es auch Studenten, die das abgelehnt haben?
MvdL: Man merkt natürlich, welche Leute immer noch die Meinung vertreten, dass das alles Quatsch sei. Die hatte ich schon auch. Ich glaube nicht, dass sie mir gegenüber wortstark genug gewesen wären, um das zu argumentieren. Deswegen haben sie es wahrscheinlich eher gelassen. Das sind in der Regel Menschen, die sich auch ansonsten nur sehr schwer in andere hineinversetzen können.
LK: Gab es denn auch Linkshänder unter Ihren Studenten?
MvdL: Ich hatte den Lehrauftrag für Methodik und Didaktik. Dabei habe ich die Studenten nicht am Instrument unterrichtet. Aber ich habe die Prüfungen mit abgenommen und immer relativ schnell im Blick gehabt, wer Linkshänder ist. Ich finde, dass man das sieht und spürt. Auch bei den hohen Streichern im Orchester merke ich, wer Linkshänder ist und wer Rechtshänder.
LK: Das basiert wohl auf Ihrer langjährigen Erfahrung mit Linksspielern.
MvdL: Ja. So ein Blick dafür, wer sich schwer tut mit Bogenbewegungen, wenn man Klangfarben trainiert...
LK: Können Sie sagen, wie dieses Thema in Ihrem Methodik-Didaktik-Unterricht an der Uni auf linkshändige Studenten gewirkt hat? Mich hat es ja damals schwer beeindruckt und nachhaltig beeinflusst, als es im Fach Entwicklungspsychologie thematisiert wurde. Geht es anderen rechtsspielenden Linkshändern ähnlich damit?
MvdL: Doch, ich denke schon. Also damals, bei diesem ersten Treffen mit Mengler waren mehrere Kollegen dabei, die den Vortrag gehört hatten und sagten, sie hätten sich gewünscht, das wäre 30 Jahre früher an Sie heran getragen worden! Die waren alle ein Stück älter als ich jetzt und haben schon sehr bedauert, dass diese Entwicklung nicht früher gekommen ist. Die auch für sich immer bemerkt haben, dass es ihnen schwer fällt. Aber ich habe jetzt doch relativ wenig Kontakt gehabt zu Leuten, die das professionell machen und dann eben versucht haben, invertiert zu spielen.
Langsamer Prozess der Akzeptanz
LK: Ja, es ist ein sehr langsamer Prozess. Es gibt gute Entwicklungen, aber eine solche Studie, wie die aus Hannover, versetzt uns diesbezüglich mit einem Schlag wieder ins Mittelalter.
Das ist auch der Grund, warum wir Linksspieler uns vernetzen und zusammen daran arbeiten wollen, dass mehr aufgeklärt und entsprechend unterrichtet wird. Denn wenn Eltern und Lehrer dagegen sind, haben die Kinder meistens keine Chance, es sich auszusuchen.
MvdL: Ja, und ich denke, wenn ich im Orchester sehe, dass trotz eines sicheren Anteils von 5% Linkshändern, kaum jemand linksherum spielt, dann weiß ich ja, die Kollegen unterrichten das auch nicht. Es gibt jetzt auch bei den Geigen eine Kollegin, die sich mit mir ausgetauscht hat und seitdem einen Schüler andersherum unterrichtet. Nur deshalb, weil er ein Freund von meinem Schüler Ole war, der ja linksherum spielte. Sie gingen auf die gleiche Schule und er war auch Linkshänder und hatte das dann ausprobiert und sofort für sich gemerkt, er möchte das auch andersrum. Daraufhin hat diese Kollegin den Jungen linksherum unterrichtet. Aber ich glaube, dass sie das eben einmal gemacht hat, weil sie nicht umhinkam, weil ihr Schüler von meinem beeinflusst worden war, und sie das jetzt nicht freiwillig weiter so anbietet. Das war eine Ausnahme, glaube ich.
LK: Wohl auch, weil es schwieriger ist, umzuschalten?
MvdL: Ja, in der Gruppe natürlich! Es erfordert am Anfang eine Beschäftigung mit dem Vokabular. Was ich in der Gruppe unterrichte, muss sofort verstanden werden. Ich nutze die Begriffe „Greifhand“ und „Streichhand“. Wenn man es aber so gewohnt ist, immer mit „rechts“ und „links“ zu arbeiten, dann erfordert es einfach Beschäftigung damit. Das wollen nicht alle. Also dazu sind nicht alle bereit. Das macht Arbeit.
LK: Es müsste direkt von Anfang an in der Ausbildung etabliert werden.
MvdL: Genau!
Kontakte zwischen linksspielenden Schülern
LK: Glauben Sie, dass es für linksspielende Instrumentalschüler interessant wäre, sich untereinander auszutauschen und zu vernetzen?
MvdL: Also ich glaube, da gibt es unterschiedliche Charaktere! Philine zum Beispiel, die jetzt so knapp über 20 Jahre alt ist, hat sich immer sehr dafür interessiert. Sie hat immer danach gefragt und sich mit den Jüngeren im Orchester ausgetauscht, wenn sie gesehen hat, das jemand auch linksherum spielt.
Felix hat auch mit ihr noch zusammengespielt. Der müsste jetzt so ungefähr 17 Jahre alt sein. Er kennt also Philine noch ganz gut und die JeKits-Kinder kennen sie auch. Katrin ist nur ein bisschen jünger als Philine. Die haben sich schon ausgetauscht.
LK: Aber mehr auf verbaler Ebene und nicht, dass sie gesagt haben: „Lass uns doch mal etwas zusammen spielen“?
MvdL: Nein, für ein gemeinsames Ensemblespiel waren nie genug von ihnen auf einem Level. Ich hätte nicht mit drei Linkshändern zusammen ein Cellotrio machen können.
LK: Außer in der JeKits-Klasse, in der ich hospitiert hatte. Da haben ja mal drei Linksspieler mit drei Rechtsspielern zusammen bei Jungend Musiziert gespielt…
MvdL: Das war noch eine größere Gruppe. Die waren zu acht insgesamt und haben drei–drei–zwei gesessen. Das war Altersgruppe 1B. Sie haben sehr schön gespielt und auch sehr gut abgeschnitten. Das war aber wirklich etwas Einmaliges. In den Gruppen danach hatte ich nie wieder drei Linksspieler auf einmal. Das war auch eine große Gruppe von 12 Kindern insgesamt. Normalerweise haben wir sechs bis acht und da ist dann meistens einer dabei, höchstens zwei.
Zukunftsaufgaben
LK: Was kann man Ihrer Meinung nach noch machen, um mehr Akzeptanz für das Linksspielen zu erreichen?
MvdL: Ich glaube, dass es wirklich wichtig ist, auch auf einer institutionellen Ebene anzusetzen. Wenn ich erlebe, dass so ein Musikschulleiter das Recht hat, einem Kollegen zu verbieten, die Schüler linksherum zu unterrichten, dann ist da noch irgendetwas falsch in unserem System! Da müsste man einfach auf der institutionellen Ebene, beim Verband deutscher Musikschulen zum Beispiel, wirklich klare Richtlinien schaffen. Diesen Fall einfach mal veröffentlichen und fragen: „Wie steht ihr denn als VdM dazu? Ist das eure Thematik, dass so jemand das darf?“ Da würde ich definitiv ansetzen!
Dieses Mädchen hat ja dann linksherum gespielt und privat bei Fabian Unterricht gehabt. Aber noch nicht mal im Kinderorchester, in der ersten Stufe, durfte sie spielen! Sie durfte in keinem Orchester der Musikschule spielen. Ein absolutes No-Go! Einem 13-jährigen Mädchen zu sagen: „Du bist verkehrt. So darfst du hier nicht mitspielen.“ Sie versteht ja die Thematik dahinter nicht und bezieht es auf sich: „Ich bin falsch. Was ist an mir falsch?“ Das Mädchen war von dieser Auseinandersetzung so belastet, das sie krank geworden ist und mit dem Cellospiel aufgehört hat.
Ich glaube, da ist eben auf Verbandsebene noch viel zu wenig Bewusstsein! Ich weiß von einzelnen Kollegen, die diesbezüglich sensibilisiert und offen sind, aber es gibt keine allgemeine, verbindliche Lösung. Eigentlich müsste es ja tatsächlich zum Pflichtprogramm gehören, in der Ausbildung von Lehrkräften für den Nachwuchs, dass man sich damit auseinandergesetzt hat. Dass man das auch mal probiert hat. Dass man weiß, wie sieht das aus, wenn ich einen Linkshänder sehe, der andersherum spielt. Dieses Bild, das sollte einfach zur Normalität gehören! Deswegen ist es ja auch so, dass die Studenten, die das bei mir erlebt haben, das überhaupt nicht in Frage stellen. Der Fabian wäre eben nicht darauf gekommen, seinen Chef zu fragen, ob er das darf. Der ist ja aus allen Wolken gefallen, als er dann plötzlich hörte, er darf das nicht. Das war für ihn unfassbar!
Wenn das aber wirklich auf Verbandsebene geklärt ist, dass es da einen Verhaltenskodex gibt, dass man das zulässt und dass es auch in den Musikschulorchestern erwünscht ist, dass Schüler die invertiert spielen, mitspielen dürfen, dann finde ich, hat man nochmal einen ganz anderen Standpunkt. Also an gewisse Verbandsregeln muss sich ja jede VdM-Musikschule halten.
LK: Ja, diesen Gedanken werden wir aufgreifen. Einige Linksspieler sind bereits mit dem VdM im Kontakt und hoffentlich können wir darüber klare Grundregeln und Umgangsformen zur Förderung und gegen Diskriminierung von linksspielenden Instrumentalschülern schaffen.
Vielen Dank, dass Sie sich so viel Zeit genommen haben, um Ihren großen Erfahrungsschatz mit uns zu teilen!
Fotos: M. van der Linde (Orchesterbilder), Symbolbild Linksgespielt (Titelbild/Cellofoto oben)